Japan nach Ende des zweiten Weltkrieges.
Das Land liegt noch in Trümmern, doch hat der Wiederaufbau bereits langsam begonnen. Erste Zeitungen erscheinen bereits wieder und in ihnen auch kurze Mangastrips die zur Unterhaltung der vom Krieg gebeutelten Bevölkerung dienen sollen.
Auch die beiden Brüder Hiroshi und Okimasa sind begeistert von Mangas und ganz besonders von denen des neuen Starzeichners Osamu Tezuka.
Zusammen beginnen sie Postkarten mit kurzen Gagstrips an Zeitungen und Magazine zu schicken und an Talentwettbewerben teilzunehmen, bald auch schon mit ersten Erfolgen. Doch mit der Zeit beginnt Hiroshi am Stil der bisherigen Mangas zu Zweifeln und zusammen mit gleichgesinnten versucht er eine neue Art Comic, gerichtet an ein älteres Publikum und offen für experimentelle Stile, zu etablieren und bei den Verlagen in Osaka und Umgebung unterzubringen.
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"A Drifting Live" ist die Geschichte der Geburt des "Gekiga" (Manga für Erwachsene mit ernsten Themen), erzählt aus der Perspektive des wohl wichtigsten Vertreters und Schöpfers dieses neuen Genres, Yoshihiro Tatsumi.
In seinem autobiografischen Werk erzählt er seine ganz persönlichen Erinnerungen, nicht nur an über 15 Jahre seiner frühen Karriere, sondern auch an die Entwicklung Japans hin von der Nachkriegszeit bis zum wiederaufblühen, Wirtschaftswachstum und schließlich Studentenunruhen.
Im Fokus steht dabei natürlich vor allem die Entstehung des Mangamarktes in Osaka und Umgebung und später, nach seinem Umzug, in Tokyo. Dabei dürfen zahlreiche Vertreter und Weggefährten der damaligen Zeit auftreten, bis hin zum großen Osamu Tezuka. Was Tatsumi hier, zwar aus eine rein subjektiven Sicht, von dieser Epoche der Geschichte des Manga schildert ist dabei umfassender als manche Facharbeit über das selbe Thema. Wer kann auch besser über so etwas erzählen, als jemand der selbst dabei gewesen ist?
Natürlich besteht dabei die Gefahr das der Erzähler die Geschichte etwas zu seinen Gunsten verdreht und sicher ist auch Tatsumis Werk nicht an allen Stellen absolut korrekt bzw. kann gar die Sicht aller an den verschiedenen Projekten Beteiligten wiederspiegeln, aber seine Geschichte vermittelt doch den Eindruck das wir hier einem durchaus ehrlichen Mann lauschen und keinem geltungssüchtigen Aufschneider.
So lässt man sich gern bezaubern, nicht nur von der Aufbruchsstimmung und dem streben nach der Etablierung einer reiferen, erwachsenen Art des Manga, sondern auch vom Menschen Tatsumi bzw. Hiroshi, wie er sein Alterego nennt, der uns teilhaben lässt an seinen Erinnerungen an Lieder, Filme, Bücher, die die Zeit ende 40er bis Anfang 60er Jahre für ihn und auch für viele andere Japaner geprägt haben. Vor allem gewährt er uns dabei auch Einblicke darin was ihn und mit ihm auch die ganze Bewegung des "Gekiga" inspirierte, erzählt uns von regen Diskussionen innerhalb des damaligen Autorenkollektivs über Filme und Bücher und wie sich Elemente aus selbigen später in den Werken der verschiedenen Autoren wiederfinden und wie der Film allgemein auch Tatsumi zu einem ganz neuen Stil des Mangas anregten, weg von vereinfachten Darstellungen, eine Handlung - ein Panel Konzepten, hin zu langen Sequenzen die sich über etliche Panels hinziehen dürfen.
Hier können auch angehende Nachwuchszeichner etwas lernen, wenn über die Verbindung von Form und Farbe der Panels als Ausdruck der psychischen Verfassung der Figuren oder von der "Lesezeit" eines Panels und dem Einfluss von mehr oder weniger Text auf die Geschwindigkeit des Leseflusses und damit die der gerade erzählten Szene philosophiert wird.
Man könnte fast sagen Tatsumi hat hier nicht nur etwas über seine und allgemeine Geschichte geschrieben, sondern nebenbei auch ein kleines Manifest des "Gekiga", bzw. ein weiteres, denn die Geschichte zeigt uns ja bereits jenes das er damals schrieb.
Aber genug zum Inhalt noch ein paar Worte zur Optik.
Nach heutigen Maßstäben und dem woran moderne Mangaleser gewohnt sind, erscheinen Tatsumis Zeichnungen vielen sicher auf den ersten Blick altbacken, simpel und in ihren klassischen, viereckigen Panels eher bieder und sogar etwas im Kontrast zu dem was er doch mit seinem "Gekiga" wollte.
Sollte nicht alles filmischer und dynamischer werden?
Tja, jede Entwicklung fängt nun mal irgendwo an und natürlich sahen die Mangas auch damals nicht plötzlich so aus wie wir sie heute kennen, sondern es war eine Idee die langsam geboren wurde und die eben auch optische Elemente enthielt die dazu geführt haben das Manga heute eben für jene Dynamik und teils "Wildheit" stehen die sie so von den klassischen amerikanischen Comics unterscheidet.
Doch sollte man sich vom ersten Blick nicht abschrecken lassen, denn schon nach kurzer Zeit wird man merken das die Zeichnungen durchaus ihren Reiz haben und besonders was die intuitive Vermittlung der emotionalen Zustände der Charaktere angeht zu hoch formen auflaufen.
Also abschließend von mir noch einmal die dicke Empfehlung an alle die erstens anspruchsvolle Mangas abseits der heute üblichen Geschichten suchen und alle die zweitens gern etwas über die Geschichte des Manga erfahren würden, hier müsst ihr unbedingt zugreifen!
Tatsumi ist bis heute einer der ganz Großen, vielleicht im Schatten des sowieso alles überragenden Osamu Tezuka, aber eigentlich doch in einem Atemzug mit jenem zu nennen.
Und dieser Mann erzählt hier aus 15 Jahren Leben mit und für Manga, von der Geburt eines erwachsen gewordenen Mediums von dem wir heute als Fans alle zehren. Und das alles auch noch auf oftmals humorvolle und unterhaltende Art und Weise, gespickt mit vielen Randbemerkungen über die damalige Zeit und voll von Daten und Fakten die man so vor allem im Westen sonst kaum irgendwo findet.
Also noch einmal: Unbedingt zugreifen!
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